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Catcalls – Die ungebetensten Nicht-Komplimente überhaupt

Es ist Herbst. Die Kleidung ist dicker geworden und draussen ist es kalt. Ich habe nicht allzu lange Haare und ziehe mich auch eher burschikos an, weshalb ich von hinten männlich gelesen werden könnte. Erstaunlicherweise ist das kein Grund, nicht gecatcalled zu werden. Natürlich hat die Anzahl anzüglicher Rufe seit Frühling stagniert, trotzdem passiert es noch viel zu häufig.

Als ich diesen Text angefangen habe zu schreiben, war es Frühling und ich habe mir die Frage gestellt, ob es vielleicht doch daran liegt, weil meine Shorts so kurz sind und dass mein Arsch raushängt? Und würde dieser Umstand rechtfertigen, dass man mir Tiergeräusche hinterher-schreit und mit herausgestreckter Zunge Oralsex imitiert?

Als Mädchen vom Lande muss ich sagen, dass mir Catcalling nie aufgefallen ist. In dem kleinen Dorf, aus dem ich herkomme, ist der Verkehr so tot, dass man kaum einem Auto begegnet. Darum, ja, vielleicht liegt es auch daran, dass ich jetzt im urbanen Zürich lebe und hier halt reger Verkehr herrscht und ich somit viel mehr Catcalling ausgesetzt bin.

Catcalling in der Schweiz

Gemäss dem Bericht „Sexuelle Belästigung in der Schweiz: Ausmass und Entwicklung“ vom Bundesrat findet ein zunehmender Teil von sexueller Belästigung im öffentlichen Raum statt. Der Anteil ist demnach von 66,4 Prozent im Zeitraum 2014/2015 auf 73,8 % im Zeitraum 2019/2020 gestiegen. Was aber noch viel spannender ist, ist, dass diese Zahlen total unrepräsentativ sind, weil die Dunkelziffer so hoch ist. Bevölkerungsbefragungen zeigen, dass kaum mehr als 10 % aller sexuellen Belästigungen angezeigt werden.

Wie sollte man auch? Es handelt sich um so flüchtige Momente, die kaum nachweisbar sind. Dazu kommt, dass nicht jede*r Lust und Energie hat, sich wegen ein paar blöden Worten durch den Behördensumpf zu kämpfen. Doch wie soll man sich dann wehren? Zurückrufen? Filmen?

Diese Ohnmacht darüber, dass Belästiger*innen (ich gendere hier einfach der Inklusivität halber, obwohl ich noch nie von einer Flinta-Person gecatcalled wurde) unumgänglich sind, ist wirklich ermüdend. Der Fakt, dass man egal was man trägt, oder halt eben nicht trägt, belästigt wird, ist einfach nur noch nervig.

Abgesehen davon, dass es nervt, lässt es mich unwohl fühlen. Ich möchte ohne Angst, dass mir etwas geschieht, nach Hause laufen können. Ich möchte nicht von Autos im Schritttempo im Dunkeln „begleitet“ werden. Ich möchte, egal wie kurz meine Shorts sind und egal wie viel von meinem Arsch sichtbar ist, mich bewegen können, ohne primitive Laute und Kommentare zu hören.

Catcalling als internationales Problem

Catcalling ist aber nicht nur in der Schweiz ein Problem. Im Mai trat deshalb in Spanien ein Gesetz in Kraft, das Kommentare, Andeutungen oder Verhaltensweisen sexueller Natur, die das Opfer „in eine Situation der Demütigung, Feindseligkeit oder Einschüchterung“ versetzen, mit einer Geldstrafe, gemeinnütziger Arbeit oder einem Hausarrest von bis zu einem Monat bestraft.

Trotz dieses Gesetzes ereignete sich kürzlich in Madrid folgende Szene:

Auf dem Video ist zu sehen, wie über 100 männliche Studenten des Ahuja College in Madrid einen Massen-Catcall ausüben. Zu hören ist ein Mann, der folgende Worte schreit: „Huren, kommt aus euren Höhlen hervor wie Kaninchen. Ihr seid verdammte Nymphomaninnen. Ich verspreche euch, dass ihr alle beim Stierkampf gefickt werdet! Los, Ahuja!“

„Los, Ahuja!“, war das Signal, die Rollläden hochzuziehen, welche die Silhouetten von Dutzenden Männern enthüllten. Man hört Gebrüll und Tiergeräusche, die sich gegen die Bewohner*innen des Santa Mónica-Frauenhauses im Nachbarhaus richten.

Die Schule veröffentlichte ein Statement auf Instagram, dass sie das Verhalten als „inakzeptabel, unverständlich und in der Gesellschaft unzulässig“ empfänden.

Ereignisse wie diese erschrecken. Darum ist es wichtig, dass man sich mit der Thematik auseinandersetzt und gegebenenfalls auch dafür einsetzt, dass solche Sachen nicht mehr passieren.

Meine Herangehensweise bei Catcalling

Ich persönlich verhalte mich in diesen Situationen so, als würde ich einem Bären begegnen. Ich bleibe ruhig, aber bestimmt. Ich schreie nicht, aber rede trotzdem laut und deutlich. Mir ist es wichtig, das Verhalten zu benennen und auszusprechen, dass es sich dabei um sexuelle Belästigung handelt. Damit signalisiere ich Belästiger*innen, dass ihr Verhalten unerwünscht ist und schaffe damit Distanz.

Dies fällt mir aber leicht und ist nicht selbstverständlich. Wenn du dich in diesen Situationen nicht in der Lage dazu fühlst Dominanz auszuüben, dann kannst du auch einfach räumliche Distanz schaffen und dich dem Verhalten so entziehen.

Hier aber trotzdem noch ein paar Tipps wie du bei Catcalling reagieren kannst:

Distanziere dich vom Fehlverhalten der Täter*in: Suche nicht nach den negativen Eigenschaften bei dir selbst und gib dir selbst keine Schuld.

Klare Grenzen setzen: Sei vorsichtig, grenze dich ab und sage deutlich, dass du das nicht willst und es nicht in Ordnung ist.

Körperliche Distanz wahren: Kein Gespräch beginnen und sich aus der Situation entfernen, um Abstand und Schutz zu gewährleisten.

Fehlverhalten vor anderen öffentlich machen: In Anwesenheit anderer kann auch das laute Benennen des Fehlverhaltens die Aufmerksamkeit auf das Fehlverhalten lenken. Bspw.: „Hör auf, herum zu stöhnen.” „Hör auf, mich sexuell zu belästigen” etc.

Auch das Umfeld von Opfern und Täter*innen hat die Verantwortung, Catcalling zu verhindern.
Tipps für Personen, die Catcalling beobachten:

Weise Freund*innen oder sogar Fremde zurecht, wenn sie jemanden verbal belästigen.

Je nach Situation auch die betroffene Person ansprechen und fragen, ob sie Hilfe benötigt.

Quellen:
https://de.wikipedia.org
https://www.newsd.admin.ch
https://www.pronovabkk.de
https://www.instagram.com

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