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«Drag ist für alle da.» – Ein Interview mit der Queen of the Scene: Milky Diamond.

Milky Diamond ist eine der schillerndsten Figuren aus der Schweizer Drag Szene. Die selbst ernannte Queen of the Scene gewährte uns einen Blick hinter die Fassaden und empfing uns bei sich zu Hause und plauderte aus dem Nähkästchen.
Milky Diamond auf der Bühne in Drag am Community Musical

Foto Credit: Tatjana Rüegsegger

Stell dich doch mal unsern Leser*innen vor

Milky: «Mein Name ist Milky Diamond und ich bin 27 Jahre alt. Ich bin Visual Artist und Drag Performer.»

Was bedeutet Drag für dich?
Milky: «Für mich persönlich ist Drag, dass ich die bestmögliche Version meiner selbst werden kann. In Drag fühle ich mich stark, sexy und elegant. Ich kann alles sein, was ich möchte in diesem Moment. Drag ermöglicht mir dieses fantastische ich zu sein.»

Wie würdest du Drag jemandem erklären, der keine Ahnung davon hat?

Milky: «Drag hat für jede und jeden eine andere Bedeutung. Gewisse Leute finden, dass eine Drag Queen klassisch Gel-Nägel tragen muss. Das empfinde ich aber nicht so. Drag Queens sind Menschen wie du und ich. Das Geschlecht spielt dabei keine Rolle. Es geht darum, dass man sich in eine andere Figur verwandeln kann. Ob das nun ein Alien, ein Showgirl oder eine bearded Queen – sprich eine Frau mit Bart ist – ist komplett egal. Man kann sich in alles verwandeln, das man möchte. Drag ist für alle da.»

Wie bist du dazu gekommen zum Drag machen?

Milky: «Als ich fünfzehn Jahre alt war releaste Lady Gaga das Lied «Just Dance». Ich fand dann heraus, dass sie vorher diese unscheinbare Persönlichkeit Stefanie Germanotta war. Niemand hat sie wahrgenommen, bis sie sich in diese Figur verwandelte und ihren Musikstil änderte. Mit dieser Verwandlung hatte sie riesigen Erfolg. Als kleiner dicker Junge vom Land war ich davon überzeugt, dass ich das auch kann. Inspiriert von Cruella De Vil, färbte ich mir die Haare schwarz-blond und fing an, mich Milky Diamond zu nennen. Ich malte mir aus, wie ich irgendwann aussehen wollte. Meistens ging das in meinen Vorstellungen in Richtung einer Superheldin oder Villain. Ich sah mich als strong Female-Figure. Im Alter von zwanzig Jahren fing ich an meine Vorstellung, die ich mir mit fünfzehn von mir selbst ausgemalt hatte, auszuleben.»

Gibt es Drag Queens die dich inspiriert haben?

Milky: «Meine Inspirationen für Drag kamen eigentlich nie von Drag Queens. Ich lasse mich beispielsweise oft von Lady Gaga, Brooke Candy oder auch von Kunst von Steven Klein für meine Drag-Personality inspirieren.»

Wie viel hat Drag für dich mit Gender-Identität zu tun?

Milky: «Ja, Drag hat sicher mit Gender zu tun, genauso, wie es auch politisch ist. Es ist aber auch sehr subjektiv. Ich wurde oft damit konfrontiert, dass ich nicht wie eine echte Frau aussehe. Das war aber auch nie mein Ziel. Ich liebe diese femininen Facetten, möchte mich aber nicht explizit als Frau fühlen. Ich fühle mich einfach als eine bessere Version von mir. Sprich – für für mich hat mein Drag nichts mit meinem Gender zu tun.»

Was steckt hinter deinem Titel «Queen of the Scene»?

Milky: «Ich stand im Heaven Club an der Bar, als ich einen Mann neben mir fluchen hörte, dass er die Gay-Scene hasse. Ich war etwas verwirrt und fragte ihn dann, wieso das so sei, wenn er ja selber schwul sei. Er sagte, es sei eine Szene, in der sich alle hassen und alle übereinander lästern. Das fand ich sehr lustig und antwortete darauf «Eine Szene, in der sich alle hassen, möchte ich die Königin sein». Ich fing an mich Queen of the Scene zu nennen und irgendwie kam der Name so gut an, dass sogar Zeitungen diesen Namen druckten.»

Wie würdest du als Queen of the Scene die Drag-Szene in der Schweiz beschreiben?

Milky: «Die Drag-Szene in der Schweiz ist zwar nicht so gross, aber sie ist sehr divers. Es gibt einige Drag Queens, die extrem tolle Shows machen. Ich bin sehr begeistert, was die Schweizer Drag-Szene zu bieten hat. Es gibt verschiedenste Angebote, die sich für die Szene einsetzen. Der Heaven Club in Zürich organisiert beispielsweise jährlich das Heaven Drag Race. Ausserdem setzt sich auch die Milchjugend mit Angeboten wie dem Lila Festival dafür ein, dass auch junge Menschen die Möglichkeit haben als Drags zu performen.»

Ist Drag für dich ein Lifestyle, oder wo würdest du es einordnen?

Milky: «Ich hatte keinen Plan B. Für mich war das eine aktive Entscheidung, dass ich das zu hundert Prozent verfolgen wollte. Es war nie eine Option für mich einen 9 to 5-Job zu haben und am Wochenende ab und zu in Drag zu performen. Darum ja, es ist mein Beruf aber gleichzeitig auch Hobby und Spass. Es ist ein Beruf, bei dem man an einem freien Dienstagnachmittag sechs Perücken wäscht, diese stylt und Kleider vorbereitet. Die Leute sehen oft nur den Aufwand, den man beim Make-up hat, aber es nimmt das ganze Leben ein.»

Was gehört für dich alles dazu eine Drag Queen zu sein?

Milky: «Was sicher sehr wichtig ist, ist ein Markenzeichen. Das kann wie bei mir eine schwarz-blonde Perücke sein. Oder man macht eine spezielle Show, wie Odette Hella’Grand , eine Queen aus Basel. Sie macht ganz klassischen Lip-Sync, den sie aber sehr modern auf die Bühne bringt. Ich bin immer wieder erstaunt, wie fesselnd und originell ihre Shows sind. Gossipa macht zum Beispiel eigene Schlagersongs und performt diese  in ihren Shows. Ich finde das einfach amazing. Das sind alles Alleinstellungsmerkmale. Deshalb würde ich sagen, man braucht etwas, womit man sich von den anderen abhebt. Was das genau ist, kann ich dir nicht sagen. Das muss jede Queen für sich selber herausfinden.»

Welche Skills braucht man deiner Meinung nach als Drag Queen? Muss man beispielsweise Nähen können?

Milky: «Es gibt Queens, die alles selber machen. Die können ihre Kleider selber nähen, ihre Perücken selber stylen, ihr Make-up selber machen. Dann gibt es aber auch die, bei denen alles von anderen gemacht wird. Das heisst aber nicht, dass ihre Art von Drag schlechter ist. Es ist einfach eine andere Art von Drag.
Ich persönlich nähe meine Outfits auch nicht selber. Mir ist es lieber von Independent-Artists und Jung-Designern meine Kleider zu kaufen. Ich bin aber unglaublich dankbar, dass ich meine Perücken selber machen kann, weil damit spart man sehr viel Geld. Ich denke alle Skills sind nützlich, aber nicht notwendig.
Das Wichtigste ist, dass man auf die Bühne stehen kann, dem Publikum in die Augen schauen und sie in den Bann ziehen kann. Ob das nun mit Singen oder Tanzen ist, ist egal, solange man das Publikum überzeugt. Die Leute sollten nach der Show nach Hause gehen und sich denken «Wow, diese Drag-Show hat mein Wochenende perfekt gemacht».»

Wie wichtig ist Drag für die Queer-Szene?

Milky: «Ich finde Drag ist sehr essenziell für die Queer-Szene. Wir sind entweder die Lautesten oder die Betrunkensten, was uns dann wiederum zu den Lautesten macht (lacht). Viele Queens schaffen es Aufmerksamkeit auf die Community zu ziehen und verweisen so auch auf politische Probleme. Das führt dazu, dass die Medien sich denken «Oh, da ist so eine komische Drag Queen, die sich politisch äussert, die müssen wir interviewen». Das sind dann vielleicht nicht immer die besten Ansprechpartner*innen, aber es generiert trotzdem Aufmerksamkeit, die für die Community wichtig ist. Natürlich sind andere Aktivist*innen aus der Szene, die keine Perücken tragen genau so wichtig. Wir werden aber mehr gesehen, weil wir viel bunter sind.»

Erlebst du viel Diskriminierung, wenn du in Drag aus dem Haus gehst?

Milky: «Nein, weil ich nicht in Drag aus dem Haus gehe. Ich nutze prinzipiell kein ÖV, wenn ich in Drag bin. Ich möchte mich nicht einer Gesellschaft aussetzen, die hateful sein könnte. Grundsätzlich fahre ich immer direkt zum Event mit dem Uber. Dasselbe auf der Heimfahrt. Ich möchte mich nicht der Gefahr aussetzen, in der Öffentlichkeit zusammengeschlagen zu werden, weil ich queer bin. Man hört so oft von solchen Stories, weshalb ich lieber auf Nummer sicher gehe.»

Wünschst du dir eine Welt, in der du einfach aus Lust und Laune in Drag deine Wocheneinkäufe erledigen könntest, ohne Angst haben zu müssen, dass du Diskriminierung erlebst?

Milky: «Natürlich wäre das schön. Abgesehen davon, dass es viel zu viel Aufwand wäre, um einfach schnell in den Denner zu gehen (lacht). Ich glaube nicht, dass ich in meiner Lebenszeit die volle Akzeptanz von queeren Menschen noch erleben werde. Das ist ein Thema, dass sich noch extrem entwickeln wird und ich hoffe auf das Beste, möchte aber trotzdem realistisch bleiben.»

Hast du konkrete Verbesserungsvorschläge für die Schweizer Drag-Szene?

Milky: «Ich darf gar nicht anfangen (lacht). Aber doch, ich hoffe es gibt für ganz viele junge Queens eine Möglichkeit, um am Wochenende ein bisschen Geld dazuzuverdienen und zu performen. Es fehlt trotzdem noch der Support in der Szene. Ich freue mich immer sehr darüber, unbekannte Gesichter auf der Bühne zu sehen. Mir ist wichtig, dass wir uns gegenseitig fördern und unterstützen.»

Findest du der «Shade» ist Teil der Szene und wo ziehst du die Grenze?

Milky: «Ja, natürlich gehört dieser «Shade» auch dazu, jedoch gibt es da schon klare Grenzen. Wenn man mich kennt und dann «shady «ist, dann ist das voll okay, wenn es freundlich gemeint ist. Aber wenn es wirklich beleidigend ist und man mich gar nicht kennt, dann finde ich es unangebracht. Es gab Leute, die versucht haben auf eine beleidigende Art über mich zu sprechen, jedoch ist das nie gut ausgegangen.» (lacht)

Möchtest du unseren Leser*innen abschliessend noch etwas mitgeben?

Milky: «Für alle Leute, die schon immer Drag machen wollten, aber sich nie getraut haben: Mach es einfach, vielleicht kannst du dich komplett neu erfinden. Es ist egal, welches Geschlecht du hast, mach einfach, worauf du Lust hast. Just do your thing honey!»

Danke für das Interview!

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Übrigens ab dem 29. August 2021 steht Milky Diamond mit Ágota Dimén wieder für Late Night Drag auf der Bühne und verzaubert die Herzen der Zuschauer!

 

 

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