Danke für die Einladung. Du machst ja echt viele verschiedene Dinge. Wie ist deine Berufsbezeichnung?
JJ: «Ich bezeichne mich als it-girl, weil ich viel Medienpräsenz habe.»
Was fasziniert dich an der «Trash-Ästhetik»?
JJ: «Das hat sich irgendwie so ergeben. Ich hatte schon immer trashige Smartphones. Wenn man mit denen nah rangeht und direkt reinblitzt, gibt das halt diese Trash-Ästhetik. Früher war mein Life auch ziemlich abgefuckt… Ist es immer noch ein wenig – aber jetzt geht es mir definitiv besser. Da würde eine Hochglanz-Instagram-Ästhetik schlecht dazu passen.»
Du bist ja auch oft auf Twitter aktiv. Warum Twitter?
JJ: «Ich habe mir ein Twitter-Profil erstellt, als mein Facebook-Profil gesperrt wurde. Mit Facebook habe ich wegen Stefanie Sargnagel angefangen. Sie war insofern ein Vorbild, da ich durch sie entdeckt habe, dass Literatur auch auf Social Media stattfinden kann. In den ersten Jahren hatte ich praktisch keine Follower*innen und habe einfach ein bisschen mit der Sprache herumexperimentiert. Twitter ist schon ein geiles Format, nur schon durch Beschränkung von 280 Zeichen pro Tweet.»
Erreichst du auf Twitter andere Personen als auf Instagram?
JJ: «Ja. Meinen ersten “Hype” hatte ich mit der Supino Geschichte. Da bekam ich innerhalb eines Tages etwa 300 neue Follower*innen. Die meisten waren Journalist*innen. Da hatte ich voll die Krise, weil ich nicht wusste, für wen ich eigentlich schreibe. Journalist*innen haben mich immer mystifiziert und teilweise auch fetischisiert. Ich wusste nicht, ob ich für die schreiben wollte. Meine Zielgruppe auf Twitter ist sehr breit und es folgen mir auch Leute, mit denen ich meine Inhalte nicht unbedingt teilen möchte. Bei Instagram fühlt sich alles etwas natürlicher an.»
aktuell bei etwas ~ausgefalleneren~ protestformen man ist sich aus der entfernung nie sicher ob es schwurbler sind oder eif kulturschaffende die keine ahnung von protesten haben und sich deshalb in der ästhetik vergreifen
— jessica jurassica (@sickbutsocial) May 20, 2021
Was beabsichtigst du mit deiner Kunst?
JJ: «Mein Motto ist: Kunst machen, nicht alleine sein und kein Arschloch sein. (lacht) Es hat sich schon etwas geändert, vor allem wegen der zunehmenden Reichweite. Dadurch ist eine Verantwortung entstanden. Ich möchte auf Missstände hinweisen und dadurch bestenfalls Veränderungen unterstützen. Bei meinem Roman hingegen ist es vor allem so, dass wenn den jemand liest und sich darin wiederfindet, bin ich eigentlich zufrieden.»
Du schreibst viel über Drogenerfahrungen. Glorifizierst du Drogen?
JJ: «Das Buch war schon ein Verarbeitungsprozess. Bis vor zwei Jahren waren Drogen ein grosses Thema für mich und es ging mir nicht immer nur gut damit. Ich habe begonnen, mich damit auseinanderzusetzen, in welchem Umfeld Drogenerfahrungen gemacht werden und unter welchen Voraussetzungen. Was bedeutet es, dass Drogen kriminalisiert sind? Ich denke, es müssen Safe Spaces geschaffen werden, um unter nicht-patriarchalen Bedingungen Rauscherfahrungen sammeln zu können. Beim Thema Drogen ist es verdammt schwierig, um diese Glorifizierung herum zu kommen, weil Drogen so stark polarisieren. Ich merke das auch bei mir selber. Ich bin zwar sehr reflektiert mit dem Thema, aber zwischendurch drifte ich auch wieder ab und denke mir: “Geil, Drogen!” Wenn ich aber sehe, dass es Freund*innen mit dem Konsum übertreiben, neige ich dann plötzlich wieder dazu, Drogen zu verteufeln. Ein Mittelweg zu finden ist schwierig. Es hilft, offen darüber sprechen. Das kann ein potenzieller Boden für einen fruchtbaren Diskurs sein. So wird das Thema vielleicht eines Tages enttabuisiert.»
Was inspiriert dich?
JJ: «Hm…Drogen! (lacht) Früher war es tatsächlich der Abfuck. Daraus ist auch diese Kunstfigur entstanden. Aber auch aus dem Bedürfnis Erfahrungen verarbeiten zu müssen. Momentan bin ich gar nicht inspiriert und warte darauf, dass etwas kommt, was mich irgendwie mitreisst.»
Würdest du manchmal gerne ohne Maske auf die Bühne?
JJ: «Ich bin froh, dass ich anonym bin. Oftmals bleibt die Kritik von aussen daran hängen, dass ich eine Maske trage und mich nicht zu erkennen gebe. Wenn ich sehe, was andere Frauen, die ähnliche Themen behandeln, einstecken müssen bin ich echt froh anonym zu sein. Die Maske ist aber nicht zuletzt auch popkulturelle Performance.»
Was ist mit der Medienkrise, von der du immer sprichst?
JJ: «Ich wurde mit diesem Medienzeug ins kalte Wasser geworfen. Der Supino-Text war mein erster Text und ich wusste zu diesem Zeitpunkt nichts von den Strukturen in dem Unternehmen, für das ich für einen Hungerlohn arbeitete. Dann kam diese Republik-Reportage über diesen Tamedia-Bullshit raus. Ich schrieb einen Text darüber und dachte, das den niemand lesen wird. Ich war wohl zu naiv – Ich wurde sofort rausgeschmissen. Danach kamen Journalist*innen und wollten mich irgendwie einordnen. Die Medienlandschaft hat mich eigentlich nie interessiert, ich bin da einfach so reingerutscht. Trotzdem geht sie mich etwas an. Ich habe viele Leute aus der Medienbranche kennengelernt, deren Arbeit ich schätze. Es ist gesellschaftlich bedenklich, was in diesen Konzernen abgeht. 20 Minuten hat eine riesige Reichweite und ballert oft unreflektiert problematische Texte raus. Das prägt das öffentliche Bewusstsein. Diese Verantwortung wird nicht genug wahrgenommen. Ich bin froh, arbeite ich nicht als Journalistin und kann mehr auf die Literatur setzen.»
Findest du Journalist*innen anstrengend?
JJ: «Oft treffe ich Journalist*innen nicht persönlich, sondern kommuniziere via Mail. So muss ich mich nicht leaken und für sie es sowieso bequemer, da sie meine Antworten schriftlich erhalten und damit die halbe Arbeit schon getan ist. Bei der Berset-Geschichte waren die Interviews extrem mühsam. Es war ein Sommerloch-Artikel, bei dem einfach “Sex” und “Bundesrat” in den Titel gesetzt wurde, um Klicks zu generieren. Es ging nicht um den Inhalt, sondern warum ich das gemacht habe. Dabei ist die Fan-Fiction ja durchaus auch ein auf mehreren Ebenen kritischer Text. Frauen sind meistens professionell und oft auch solidarisch mit mir und meinen Themen. Dudes hingegen sind oft anstrengend.»
Verhalten sich Journalisten unangebracht?
JJ: «Manchmal habe ich im Umgang mit Journalisten den Eindruck, dass ich auf eine seltsame Art sexualisiert und fetischisiert werde. Ein Journalist ist mir schon echt schleimig in meine DM’s geslidet. So flirty und ziemlich unprofessionell. Viele denken, sie müssen das Game mitspielen und ein bisschen frech und lustig zu mir sein. Ich finde das nervig. Wir sind alle Profis – Ich habe genug Erfahrungen mit Medien. Sie dürfen mich gerne wie alle anderen anschreiben.»
Ich habe kürzlich eine Literaturkritik im SRF über deinen Roman «Das Ideal des Kaputten» gehört. Wie ernst nimmst du Literaturkritiker*innen?
JJ: »Sieglinde (Kritikerin bei «Literatur im Gespräch») fand mein Buch nicht so cool. Sie war anfangs Fan von mir. Im SRF-Gespräch hat sie einen Tweet von mir aus dem Jahr 2018 zitiert. Ich finde es etwas obsessiv, alte Tweets zu notieren. Ich kann gut mit Kritik umgehen aber ihre Aussage finde ich problematisch. Sie sagt, dass ich weiterhin meine 280 Zeichen auf Twitter schreiben soll, wie ich es 2018 getan habe. Also like: Entwickle dich nicht weiter. Ich probiere gerne verschiedene Formate aus. Ich fand es etwas enttäuschend, dass sie mein neues Buch nicht als Roman lesen konnte. Dabei steht auf dem Cover sogar in Goldprägung “Roman”. Ich habe mich gefragt, warum sie ihre Erwartungen nicht vom Endergebnis differenzieren konnte. Sie wertet den Roman aufgrund dessen, was ich davor gemacht habe. Sie sagt, dass es schon ein bisschen “konventionell” sei, einen Roman zu schreiben. Aber ich werde als Autorin eben erst ernst genommen, wenn ich ein «richtiges» Buch schreibe. Ausserdem wurde bei den Rezensionen auffallend wenig auf meine Sprache eingegangen wurde. Das Buch wird einfach als eine weitere aufregende, freche Performance von dieser mysteriösen Kunstfigur wahrgenommen. Klar ist es auch eine Performance, aber es ist eben auch ein Roman, an dem ich zwei Jahre gearbeitet habe. Ich finde, man sollte das Buch auch als Roman lesen und die literarische Qualität beachten.»
Hat dein Buch ein Happy-End oder habe ich das falsch interpretiert?
JJ: «Ja eigentlich schon, das hat sich auch angeboten. Ich hätte ewig weiterschreiben können, weil es sehr assoziativ ist. Irgendwann musste ich eben abgeben. Ich weiss nicht, ob der Schluss etwas billig ist.»
Der Schluss knüpft ja an den Anfang an.
JJ: «Ja eben. Ist schon ein billiger Trick. (lacht) Aber es hat sich stimmig angefühlt. Und der Protagonistin ging es da sicher besser als zwei Jahre davor.»
Wissen deine Eltern, was du machst?
JJ: «Ja. Sie lesen meine Tweets und können das gut differenzieren. Ich habe jedenfalls noch nie ein Telefon erhalten, wegen meinen Drogengeschichten. Meinen Roman haben sie ebenfalls gelesen.»
Hast du eine*n Lieblingskünstler*in?
JJ: «Haiyti».
Danke für das Interview!