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Handy Zombies

Ich hasse mein Handy. Es fällt mir ständig auf den Boden – der Touchscreen funktioniert oft nicht, die eine Hälfte vom Bildschirm ist immer schwarz. Aber trotzdem liebe ich es. Bullshit, ich liebe mein Handy nicht, ich brauche es.  

Ich brauche die komischen Videos, die mir meine Freunde schicken. Ich brauche Instagram damit ich sehen kann, was für “aufregende Leben“ andere Menschen führen. Menschen, mit denen ich mal betrunken die Instagram-Namen ausgetauscht habe, deren richtigen Namen ich gar nicht kenne (oder Interesse daran habe, ihn herauszufinden).

Ich war gerade eben im Bus, als sich mir eine skurrile Szene bot. Ich stand ganz hinten im Bus, direkt an der Tür. Vor mir stand ein Junge. In der linken Hand hielt er einen Monster Energy Drink, in der Rechten sein Handy. Die Eltern taten mir direkt leid, sie werden den Rest des Tages Tag ein hyperaktives Kind zu Hause haben, das die Wände hochrennt und Chaos anrichtet. Mein Beileid.

Der Bus fuhr den Berg hoch. Der Junge stolperte ständig über seine eigenen Füsse, die Strasse war zu steil und er konnte sich nirgends festhalten. Zu voll war die Energy Drink Dose, als dass er sie hätte wegwerfen können. Zu unterhaltsam waren die TikTok-Videos, als dass er das Handy hätte weglegen können. Er starrte in den Bildschirm. Swipte nach unten. Starrte weiter. Währenddessen stand er mir ständig auf die Schuhe. Wären es meine Nike TN’s gewesen, wäre ich ein bisschen wütend geworden. Glücklicherweise trug ich nur meine schwarzen Vans, bei denen war es mir egal. Hatte der Junge noch Glück gehabt. Immer wenn er mir auf die Füsse stand, kam er mir näher und ich roch den ätzenden Energy Drink Geruch. Sogar durch die Maske roch ich die Brühe. Und einmal schüttete er fast seinen Energy Drink aus – das Opfer wäre ein Anzugträger gewesen. Nachdem er mir viermal auf die Schuhe gestanden war, verliess er den Bus.

Ich beobachtete weiter.

Am Fenster sah ich eine Frau, welche das Handy ganz dicht ans Fenster hielt. Nach einer kurzen Analyse merkte ich, dass die Frau die Busfahrt auf Instagram streamte. Auch sie starrte auf den Bildschirm. Sie starrte. Es flogen Likes und Emojis über den Bildschirm. Wieso sollte sie auch aus dem Fenster auf die Strasse schauen, wenn sie auf ihr Handy starren kann, wo sie dieselbe Strasse mit einem Flammen Emoji sehen kann? Sehr fire🔥

Wer sich wohl diesen Livestream anschaute? Es war nur eine langweilige Busfahrt, wer will das schon sehen? Vielleicht war die Unbekannte eine Streamerin, die weltberühmt ist, weil sie ihre Busfahrten streamt? Das finde ich revolutionär, I love it.  Ich stelle mir vor, wie Millionen von Fans in ihren Bildschirm starren, um sich einen Livestream von einer Busfahrt zu gönnen.

Amüsiert stieg ich an meiner Haltestelle aus. Auf meinem Nachhauseweg schaute ich ein TikTok-Video von einem durchtrainierten Japaner, der in einem Dienstmädchen Anzug Motorräder auf der Schulter trug – und starrte in meinen Bildschirm.

Ich habe mir schon öfters überlegt, mir ein neues Handy zu gönnen. Die Zeit wäre reif. Aber für das, dass Kinder ausgebeutet und Lebensräume zerstört werden, sind die Dinger zusätzlich auch superteuer. Für diesen Deal gibt es von mir keine rote Rose!

Ich könnte mir höchstens vorstellen, dass ich mir mal ein Secondhand Handy kaufe. Das würde das Umwelt- und das Geld-Problem lösen, jedoch würde ich mich dann immer fragen, was dieses Handy wohl schon alles gesehen hatte. Mehr als die Hälfte dieser Second Hand Handys waren wahrscheinlich schon Zeugen von Banküberfällen oder gehörten irgendeinem Drogendealer, der hinter einem Migros drei Gramm Gras für 50 Franken verkauft.

Es ist mir egal, ob ich meine Handysucht jetzt mit einem iPhone (für welches ich meine Niere verkaufen müsste), oder mit meinem kaputten Samsung Galaxy – welches Teilzeit arbeitet – stille. Das spielt mir keine Rolle. Hauptsache ich bin online.

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