Jung, weiblich & HIV-Positiv – Eine Betroffene erzählt

Als HIV-Positive Person bedient Maya eine Nische, als HIV-Positive Frau eine weitere. Maya ist nach eigener Aussage ein medizinisches Phänomen für Ärzt*innen auf dem Gebiet. Mit 18 Jahren erhielt sie die Diagnose, die ihr Leben verändern sollte. Wenn sie über ihre Geschichte spricht, redet sie aber vor allem von Glück und Dankbarkeit.

 

Maya ist heute 23 Jahre alt. Seit fünf Jahren trägt sie den „Human Immunodeficiency Virus“ in sich, umgangssprachlich HIV genannt. Nur ihr engster Freundeskreis, Partner*innen und ihre Familie wissen von der Diagnose. Es fällt ihr noch immer schwer, darüber zu sprechen. Trotzdem will sie, dass ihre Geschichte veröffentlicht wird, denn selbst in der „super woken Bubble“ in der sie verkehrt, wissen viele nicht genug über die Krankheit.

„Alles begann mit diversen Entzündungen, Fieber, schmerzenden Achseln und Leistenbereich und einer Mundhöhlenentzündung. Ich konnte weder Essen noch arbeiten.“

Maya befand sich zu diesem Zeitpunkt in El Salvador, wo sie bei einem Hilfsprojekt tätig war. Einige ihrer Mitbewohner*innen waren Medizinstudierende, weshalb sie sich einen Rat von ihnen einholte. Jemand meinte dann, das töne nach HIV. Alle anderen waren empört von der Aussage und meinten, sie solle nicht den Teufel an die Wand malen. Bis heute weiss keiner von ihnen, dass Maya zu dem Zeitpunkt wirklich HIV-Positiv war.

„Es gab ein weiteres ironisches Ereignis, nämlich sah ich mir eines Abends eine Dokumentation über ein HIV-Positives Paar an. Das war noch bevor es mir so schlecht ging. Ich rannte also aus meinem Zimmer und fragte: „Wusstet ihr, dass man an HIV nicht mehr sterben muss?“ Natürlich wussten sie das als Medizinstudierende schon. Ich hörte das aber zum ersten Mal. Als ich im Nachhinein nachrechnete, stellte ich fest, dass ich da schon positiv war.“

HIV ist seit 27 Jahren kein Todesurteil mehr

Tatsächlich lässt sich HIV schon seit 1996 behandeln, also ein Ausbruch von Aids verhindern. Das Problem, viele wussten und wissen nicht von ihrer Erkrankung. Die Neuinfektionsrate sinkt seitdem kontinuierlich. Vermehrtes Testen und Präexpositionsprophylaxe, kurz PrEP, scheinen diese Trendwende ausgelöst zu haben. PrEP ist ein Medikament, dass dich davor schützt, dich mit HIV zu infizieren.

HIV-Labormeldungen Schweiz, Statistik: BAG

Maya ging es immer schlechter und gemeinsam versuchten sie ihre Infektionen zu bekämpfen, doch nichts half. Beim Arzt wurde sie dann auf alle möglichen tropischen Krankheiten getestet – ohne Erfolg. Kurz nach Weihnachten sollte es nach Chile gehen. Am 23. Dezember ging es aber zurück in die Schweiz. „Ich wusste, dass ich keine Chance habe, in diesem Zustand nach Hause zu reisen. Besonders, weil ich über Amerika fliegen musste. Ich pumpte mich also mit Ibuprofen voll und meine Mitbewohner*innen gaben mir Tipps, was ich den Zollbeamt*innen erzählen kann.“ Unter dem Vorwand einer Neurodermitis, um die Ausschläge im Gesicht zu erklären, liessen sie mich zum Glück in miserablem Zustand passieren.

Zu Hause angekommen ging es direkt in den Notfall. „Da mir zu diesem Zeitpunkt klar war, dass es sich hier nicht um eine harmlose Erkrankung handelt, erzählte ich dem Arzt sofort, dass ich ungeschützten Geschlechtsverkehr hatte. Für mich kam nun alles in Frage, auch HIV. Ich hatte mehrmals Sex mit einem Mann, welcher bei unserem letzten Treffen trotz mehrfachem Nein auf die Frage, ob ich Analsex möchte, Analsex mit mir hatte. Kurz danach bemerkte ich auch, dass er das Kondom ausgezogen hatte. Ich habe mir damals nicht viel dabei gedacht, heute weiss ich, dass das eine Vergewaltigung war.“

Die Diagnose

Der Arzt entnahm ihr Blut, um einen Schnelltest zu machen. Als der Test dabei war, sich zu entwickeln, drehte sich der Arzt zu ihr um und fragte sie, ob es denn schlimm wäre, wenn sie positiv wäre. „Ich war schockiert von der Frage, das bedeutete für mich den Weltuntergang. Heute verstehe ich, wieso er mich das fragte.“ Drei Minuten später drehte er sich um und meinte: „Ja, sie sind positiv.“ „Meine Mutter ist sofort zusammengebrochen, ich ein paar Minuten später auch. Ich weiss noch, wie ich mir in diesem Moment dachte: „Warum ist das Flugzeug nicht abgestürzt?“. Der zweite Gedanke war die Waffe im Schrank meines Vaters. Dann müsste ich es ihm nie erzählen und dafür geradestehen.“

Mayas Medikament Delstrigo, Foto: Alina Graber

Maya erinnert sich an ein Abendessen mit ihrer Familie, an dem alle mehr geweint als gegessen haben. Manche haben mit Trauer reagiert, andere mit Wut. Es wurden Dinge herumgeworfen und geschrien. Obwohl sie sich alle bewusst waren, dass Maya niemanden anstecken kann, wurde nichts angefasst, dass sie angefasst hatte. „Obwohl es mir bewusst war, dass ich niemanden anstecken kann, hatte ich solche Angst davor, es jemandem aus meiner Familie zu übertragen. Es fiel mir auch lange Zeit später noch schwer, mit anderen Essen zu teilen.“ Besonders Respekt hatte sie vor ihrem Blut. Wenn sie ihre Periode hatte, fühlte Sie sich wie eine wandelnde Giftbombe.

Von ihrer Diagnose hätte sie niemandem erzählen müssen. Auch keinem Sexualpartner oder Partnerin. Solange sie unter der Nachweisgrenze liegt, also nicht ansteckbar ist, ist ihr Schutz vor Stigmata und unbegründeter Ablehnung wichtiger. Das ist auch rechtlich so. Einzig laufe sie Gefahr, eine Person zu spät darüber zu informieren, so dass diese sich emotional betrogen fühlen könnte, meint ihr Arzt. Auch jetzt ist das noch eine Challenge für sie abzuwägen, wann und ob sie einer Person von ihrer Diagnose erzählt.

„Du bist die erste HIV-Positive in meinem Bett“

Maya erinnert sich gut daran, wie sie ihren beiden besten Freunden davon erzählte. Sie erhielt viel Akzeptanz und Unterstützung, was ihr aber besonders geblieben ist, ist der erste Witz, der über die Diagnose gefallen ist. „Wir weinten gemeinsam, dann holten wir uns einen Döner und lagen zu dritt im Bett. Einer meiner Freunde sagte dann: „Du bist die erste HIV-Positive in meinem Bett“, und lachte darauf los. Ich antwortete nur: „Ja, das hoffe ich für dich“, und lachte mit. Das war das erste Mal, dass meine Diagnose lustig war. Heute reissen wir oft Witze darüber oder werfen uns Blicke zu, wenn HIV gerade Gesprächsthema ist. Dass das möglich ist, hätte ich anfangs nie gedacht.“

Im Nachhinein sei die Diagnose nicht so schlimm, wie sie in diesem Moment war. Es brauchte aber viel Zeit und einen ersten sexuellen Kontakt, welcher sich nach dem Sex testen liess und nicht positiv war, um Normalität zurückkehren zu lassen.

„Als ich frisch diagnostiziert war, dachte ich, ich könnte mein Studium nicht beginnen und dass ich in meinem Leben eingeschränkt wäre.“

Maya findet es interessant, dass unsere Generation, welche eigentlich gegenüber solchen Themen sehr aufgeschlossen ist, über HIV überhaupt nicht aufgeklärt ist. Auch sie dachte, die Krankheit sei ausgestorben und nichts, über das sie sich Gedanken machen müsste. Schon gar nicht als Frau. „Viele Menschen wissen nicht mal, dass man nicht mehr ansteckend sein kann. Vor allem die Stigmatisierung, dass HIV-Positive drogenabhängig sind, ist krass. Einmal war ich bei einer Ärztin, die mir nicht glaubte, dass ich keine Drogen intravenös konsumiere. Ich musste ihr als Beweis tatsächlich meine Arme zeigen.“ Die Generation nach der Aids Epidemie sei sehr sensibel auf dieses Thema, uns ginge es aber nicht mehr so viel an. Vor allem wenn Personen HIV und Aids gleichsetzen, versucht sie sie zu korrigieren. „Dieser feine Unterschied entscheidet für mich über Leben und Tod.“

Glück im Unglück

Nicht nur ist es unglaublich selten, dass junge Frauen sich mit HIV infizieren, auch war es für Maya grosses Glück. Es ist sehr selten, dass jemand in der Primärinfektion bemerkt, dass er oder sie HIV-Positiv ist. Da Maya aber erst 18 war, reagierte ihr Körper extrem stark auf die Infektion. Für eine Person um die 30 kann es sich wie eine schwache Grippe anfühlen, oder die Reaktion bleibt ganz aus. Fünf bis Zehn Jahre später kommen dann die richtigen Symptome, welche aber schon Aids sein können. Aus diesem Grund ist es extrem wichtig, sich als sexuell aktive Person regelmässig zu testen.

„Ärzt*innen sind immer sehr interessiert an mir. Die meisten haben in ihrer Karriere noch nie eine positive Frau gesehen, geschweige denn eine junge Frau. Ich wurde sogar schon darauf angesprochen, als ich wegen einer Ohrenentzündung zum Arzt ging.“ Ärzt*innen sehen das in Mayas Krankenakte.

Kennst du den Unterschied zwischen HIV und Aids?

Maya hat mir erzählt, dass viele den Unterschied nicht kennen. Wir haben direkt bei unserer Community nachgefragt. Das sind die Resultate:

Foto: Screenshot Instagram KRUNK

Maya meint: „Wäre zu dem Thema mehr Aufklärungsarbeit geleistet worden, wäre die Konfrontation mit meiner Familie bestimmt einfacher verlaufen“. Sie hängt aber direkt an, dass sie es fast schöner findet, zu sehen, wie Freund*innen und Familie damit beginnen, sich aufgrund ihrer Geschichte mit dem Thema auseinanderzusetzen. Sie konnte damit auch schon Freund*innen dazu bringen, sich testen zu lassen, einfach weil sie jetzt den persönlichen Bezug haben.

HIV-Positiv zu sein, ist nicht gerade günstig

Zufälligerweise änderte Mayas Vater während ihrem Aufenthalt in El Salvador die Konditionen der Krankenkasse und senkte ihre Franchise. „Langfristig gesehen, ist das das grösste Glück in der ganzen Angelegenheit. Dieser Abschluss rettete mich vor dem finanziellen Ruin. HIV-Positiv zu sein kostet im Monat nämlich um die 1500 Franken. Die Medikamente allein kosten 1000 Franken. Mein Studium hätte ich vergessen können.“

Die Diagnose bedeutet für Maya nicht nur Leid

Einige wenige positive Erlebnisse zieht Maya aus ihrem Pech. Ihr behandelnder Arzt beispielsweise möchte sie für nichts auf der Welt missen. Er sei für sie eine so grosse Bereicherung, nicht nur auf medizinischer, sondern auch auf freundschaftlicher Ebene. Wenn sie ihm ein SMS schreibt, ob sie reden können, ruft er sie in den nächsten zwei Stunden an. Und dass, obwohl sie nur jedes halbe Jahr zum Kontrolltermin gehen muss.

„Ich bin dankbar für die persönliche Entwicklung, die ich durchmachen musste. Diese Erfahrung allein machte mich 10 Jahre älter. Ich habe mich mit meinem Tod auseinandergesetzt, als ich 18 war. Ich dachte, dass ich sterbe. Ich bin dankbar für den wissenschaftlichen Fortschritt, die Kontakte und das Wissen, dass meine Familie immer für mich da ist.“

*Name der Protagonistin wurde geändert.

Quellenangabe:

https://www.aidshilfe.de/meldung/20-jahre-hiv-therapie-langes-erfuelltes-leben-moeglich

https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/zahlen-und-statistiken/zahlen-zu-infektionskrankheiten/hiv-sti-statistiken-analysen-trends.html

https://aids.ch/de/haeufigste-fragen/hiv-aids/zahlen/

Jung, weiblich & HIV-Positiv – Eine Betroffene erzählt

Von Alina Graber (Text und Bild), 03. November 2022

Als HIV-Positive Person bedient Maya eine Nische, als HIV-Positive Frau eine weitere. Maya ist nach eigener Aussage ein medizinisches Phänomen für Ärzt*innen auf dem Gebiet. Mit 18 Jahren erhielt sie die Diagnose, die ihr Leben verändern sollte. Wenn sie über ihre Geschichte spricht, redet sie aber vor allem von Glück und Dankbarkeit.

Maya ist heute 23 Jahre alt. Seit fünf Jahren trägt sie den „Human Immunodeficiency Virus“ in sich, umgangssprachlich HIV genannt. Nur ihr engster Freundeskreis, Partner*innen und ihre Familie wissen von der Diagnose. Es fällt ihr noch immer schwer, darüber zu sprechen. Trotzdem will sie, dass ihre Geschichte veröffentlicht wird, denn selbst in der „super woken Bubble“ in der sie verkehrt, wissen viele nicht genug über die Krankheit.

„Alles begann mit diversen Entzündungen, Fieber, schmerzenden Achseln und Leistenbereich und einer Mundhöhlenentzündung. Ich konnte weder Essen noch arbeiten.“ Maya befand sich zu diesem Zeitpunkt in El Salvador, wo sie bei einem Hilfsprojekt tätig war. Einige ihrer Mitbewohner*innen waren Medizinstudierende, weshalb sie sich einen Rat von ihnen einholte. Jemand meinte dann, das töne nach HIV. Alle anderen waren empört von der Aussage und meinten, sie solle nicht den Teufel an die Wand malen. Bis heute weiss keiner von ihnen, dass Maya zu dem Zeitpunkt wirklich HIV-Positiv war.

„Es gab ein weiteres ironisches Ereignis, nämlich sah ich mir eines Abends eine Dokumentation über ein HIV-Positives Paar an. Das war noch bevor es mir so schlecht ging. Ich rannte also aus meinem Zimmer und fragte: „Wusstet ihr, dass man an HIV nicht mehr sterben muss?“ Natürlich wussten sie das als Medizinstudierende schon. Ich hörte das aber zum ersten Mal. Als ich im Nachhinein nachrechnete, stellte ich fest, dass ich da schon positiv war.“

HIV ist seit 27 Jahren kein Todesurteil mehr

Tatsächlich lässt sich HIV schon seit 1996 behandeln, also ein Ausbruch von Aids verhindern. Das Problem, viele wussten und wissen nicht von ihrer Erkrankung. Die Neuinfektionsrate sinkt seitdem kontinuierlich. Vermehrtes Testen und Präexpositionsprophylaxe, kurz PrEP, scheinen diese Trendwende ausgelöst zu haben. PrEP ist ein Medikament, dass dich davor schützt, dich mit HIV zu infizieren.

HIV-Labormeldungen Schweiz, Statistik: BAG

Maya ging es immer schlechter und gemeinsam versuchten sie ihre Infektionen zu bekämpfen, doch nichts half. Beim Arzt wurde sie dann auf alle möglichen tropischen Krankheiten getestet – ohne Erfolg. Kurz nach Weihnachten sollte es nach Chile gehen. Am 23. Dezember ging es aber zurück in die Schweiz. „Ich wusste, dass ich keine Chance habe, in diesem Zustand nach Hause zu reisen. Besonders, weil ich über Amerika fliegen musste. Ich pumpte mich also mit Ibuprofen voll und meine Mitbewohner*innen gaben mir Tipps, was ich den Zollbeamt*innen erzählen kann.“ Unter dem Vorwand einer Neurodermitis, um die Ausschläge im Gesicht zu erklären, liessen sie mich zum Glück in miserablem Zustand passieren.

Zu Hause angekommen ging es direkt in den Notfall. „Da mir zu diesem Zeitpunkt klar war, dass es sich hier nicht um eine harmlose Erkrankung handelt, erzählte ich dem Arzt sofort, dass ich ungeschützten Geschlechtsverkehr hatte. Für mich kam nun alles in Frage, auch HIV. Ich hatte mehrmals Sex mit einem Mann, welcher bei unserem letzten Treffen trotz mehrfachem Nein auf die Frage, ob ich Analsex möchte, Analsex mit mir hatte. Kurz danach bemerkte ich auch, dass er das Kondom ausgezogen hatte. Ich habe mir damals nicht viel dabei gedacht, heute weiss ich, dass das eine Vergewaltigung war.“

Die Diagnose

Der Arzt entnahm ihr Blut, um einen Schnelltest zu machen. Als der Test dabei war, sich zu entwickeln, drehte sich der Arzt zu ihr um und fragte sie, ob es denn schlimm wäre, wenn sie positiv wäre. „Ich war schockiert von der Frage, das bedeutete für mich den Weltuntergang. Heute verstehe ich, wieso er mich das fragte.“ Drei Minuten später drehte er sich um und meinte: „Ja, sie sind positiv.“ „Meine Mutter ist sofort zusammengebrochen, ich ein paar Minuten später auch. Ich weiss noch, wie ich mir in diesem Moment dachte: „Warum ist das Flugzeug nicht abgestürzt?“. Der zweite Gedanke war die Waffe im Schrank meines Vaters. Dann müsste ich es ihm nie erzählen und dafür geradestehen.“

Maya erinnert sich an ein Abendessen mit ihrer Familie, an dem alle mehr geweint als gegessen haben. Manche haben mit Trauer reagiert, andere mit Wut. Es wurden Dinge herumgeworfen und geschrien. Obwohl sie sich alle bewusst waren, dass Maya niemanden anstecken kann, wurde nichts angefasst, dass sie angefasst hatte. „Obwohl es mir bewusst war, dass ich niemanden anstecken kann, hatte ich solche Angst davor, es jemandem aus meiner Familie zu übertragen. Es fiel mir auch lange Zeit später noch schwer, mit anderen Essen zu teilen.“ Besonders Respekt hatte sie vor ihrem Blut. Wenn sie ihre Periode hatte, fühlte Sie sich wie eine wandelnde Giftbombe.

Von ihrer Diagnose hätte sie niemandem erzählen müssen. Auch keinem Sexualpartner oder Partnerin. Solange sie unter der Nachweisgrenze liegt, also nicht ansteckbar ist, ist ihr Schutz vor Stigmata und unbegründeter Ablehnung wichtiger. Das ist auch rechtlich so. Einzig laufe sie Gefahr, eine Person zu spät darüber zu informieren, so dass diese sich emotional betrogen fühlen könnte, meint ihr Arzt. Auch jetzt ist das noch eine Challenge für sie abzuwägen, wann und ob sie einer Person von ihrer Diagnose erzählt.

„Du bist die erste HIV-Positive in meinem Bett“

Maya erinnert sich gut daran, wie sie ihren beiden besten Freunden davon erzählte. Sie erhielt viel Akzeptanz und Unterstützung, was ihr aber besonders geblieben ist, ist der erste Witz, der über die Diagnose gefallen ist. „Wir weinten gemeinsam, dann holten wir uns einen Döner und lagen zu dritt im Bett. Einer meiner Freunde sagte dann: „Du bist die erste HIV-Positive in meinem Bett“, und lachte darauf los. Ich antwortete nur: „Ja, das hoffe ich für dich“, und lachte mit. Das war das erste Mal, dass meine Diagnose lustig war. Heute reissen wir oft Witze darüber oder werfen uns Blicke zu, wenn HIV gerade Gesprächsthema ist. Dass das möglich ist, hätte ich anfangs nie gedacht.“

Im Nachhinein sei die Diagnose nicht so schlimm, wie sie in diesem Moment war. Es brauchte aber viel Zeit und einen ersten sexuellen Kontakt, welcher sich nach dem Sex testen liess und nicht positiv war, um Normalität zurückkehren zu lassen.

„Als ich frisch diagnostiziert war, dachte ich, ich könnte mein Studium nicht beginnen und dass ich in meinem Leben eingeschränkt wäre.“

Maya findet es interessant, dass unsere Generation, welche eigentlich gegenüber solchen Themen sehr aufgeschlossen ist, über HIV überhaupt nicht aufgeklärt ist. Auch sie dachte, die Krankheit sei ausgestorben und nichts, über das sie sich Gedanken machen müsste. Schon gar nicht als Frau. „Viele Menschen wissen nicht mal, dass man nicht mehr ansteckend sein kann. Vor allem die Stigmatisierung, dass HIV-Positive drogenabhängig sind, ist krass. Einmal war ich bei einer Ärztin, die mir nicht glaubte, dass ich keine Drogen intravenös konsumiere. Ich musste ihr als Beweis tatsächlich meine Arme zeigen.“ Die Generation nach der Aids Epidemie sei sehr sensibel auf dieses Thema, uns ginge es aber nicht mehr so viel an. Vor allem wenn Personen HIV und Aids gleichsetzen, versucht sie sie zu korrigieren. „Dieser feine Unterschied entscheidet für mich über Leben und Tod.“

Glück im Unglück

Nicht nur ist es unglaublich selten, dass junge Frauen sich mit HIV infizieren, auch war es für Maya grosses Glück. Es ist sehr selten, dass jemand in der Primärinfektion bemerkt, dass er oder sie HIV-Positiv ist. Da Maya aber erst 18 war, reagierte ihr Körper extrem stark auf die Infektion. Für eine Person um die 30 kann es sich wie eine schwache Grippe anfühlen, oder die Reaktion bleibt ganz aus. Fünf bis Zehn Jahre später kommen dann die richtigen Symptome, welche aber schon Aids sein können. Aus diesem Grund ist es extrem wichtig, sich als sexuell aktive Person regelmässig zu testen.

„Ärzt*innen sind immer sehr interessiert an mir. Die meisten haben in ihrer Karriere noch nie eine positive Frau gesehen, geschweige denn eine junge Frau. Ich wurde sogar schon darauf angesprochen, als ich wegen einer Ohrenentzündung zum Arzt ging.“ Ärzt*innen sehen das in Mayas Krankenakte.

Kennst du den Unterschied zwischen HIV und Aids?

Maya hat mir erzählt, dass viele den Unterschied nicht kennen. Wir haben direkt bei unserer Community nachgefragt. Das sind die Resultate:

ASD

Maya meint: „Wäre zu dem Thema mehr Aufklärungsarbeit geleistet worden, wäre die Konfrontation mit meiner Familie bestimmt einfacher verlaufen“. Sie hängt aber direkt an, dass sie es fast schöner findet, zu sehen, wie Freund*innen und Familie damit beginnen, sich aufgrund ihrer Geschichte mit dem Thema auseinanderzusetzen. Sie konnte damit auch schon Freund*innen dazu bringen, sich testen zu lassen, einfach weil sie jetzt den persönlichen Bezug haben.

HIV-Positiv zu sein, ist nicht gerade günstig

Zufälligerweise änderte Mayas Vater während ihrem Aufenthalt in El Salvador die Konditionen der Krankenkasse und senkte ihre Franchise. „Langfristig gesehen, ist das das grösste Glück in der ganzen Angelegenheit. Dieser Abschluss rettete mich vor dem finanziellen Ruin. HIV-Positiv zu sein kostet im Monat nämlich um die 1500 Franken. Die Medikamente allein kosten 1000 Franken. Mein Studium hätte ich vergessen können.“

Die Diagnose bedeutet für Maya nicht nur Leid

Einige wenige positive Erlebnisse zieht Maya aus ihrem Pech. Ihr behandelnder Arzt beispielsweise möchte sie für nichts auf der Welt missen. Er sei für sie eine so grosse Bereicherung, nicht nur auf medizinischer, sondern auch auf freundschaftlicher Ebene. Wenn sie ihm ein SMS schreibt, ob sie reden können, ruft er sie in den nächsten zwei Stunden an. Und dass, obwohl sie nur jedes halbe Jahr zum Kontrolltermin gehen muss.

„Ich bin dankbar für die persönliche Entwicklung, die ich durchmachen musste. Diese Erfahrung allein machte mich 10 Jahre älter. Ich habe mich mit meinem Tod auseinandergesetzt, als ich 18 war. Ich dachte, dass ich sterbe. Ich bin dankbar für den wissenschaftlichen Fortschritt, die Kontakte und das Wissen, dass meine Familie immer für mich da ist.“

*Name der Protagonistin wurde geändert.

 

Quellenangabe:

https://www.aidshilfe.de

https://www.bag.admin.ch

https://aids.ch

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