Die Porny Days sind ein Film- und Kunst-Festival zum Thema Körperlichkeit und Sexualität und feiern ihr zehnjähriges Jubiläum. Fünf Tage lang gibt es verschiedene Filme, Performances, Paneldiskussionen, Lesungen, Workshops, eine Porny Party und den Porny Brunch zu erleben. Seit fast drei Jahren finden zudem vereinzelt Porny-One-Night-Stands – das sind sexpositive Partys – in Zürich und anderen Schweizer Städten statt.
Aufmerksam wurde ich auf die Porny Days, weil genau vor einem Jahr eine Freundin zu mir kam und mir erzählte, dass sie vergangenes Wochenende an einem Livefisting war (einer von vielen Porny Days Workshops). Ein Mann, dessen Anus und 20 fremde Fäuste sollen daran beteiligt gewesen sein, Latexhandschuhe und viel Gleitgel inklusive – ich war direkt fasziniert.
Heute ist Eröffnungstag, zuerst gibt es einen Apéro, danach folgen die Opening Quickies: das sind neun Kurzfilme und allenfalls eine Eröffnungsperformance, falls man ein entsprechendes Ticket ergattern konnte. Ich erinnere mich nochmals an den Bericht meiner Kollegin vom Vorjahr und bin mir unsicher, was mich heute genau erwarten wird.
Tragen die Menschen heute Ganzkörper-Latexanzüge? Oder sind sie gar ganz nackt? Was ist das für eine Performance? Ist es ein Livefisting? Muss ich da mitmachen? Meinen Phantasien sind keine Grenzen gesetzt, ich erwarte ein Fetisch-Fest mit viel Lack, Leder und Gleitgel.
„Transmasculinity is hot“
Langsam füllt sich das Foyer, der Prosecco fliesst, die Stimmung ist ausgelassen. Das erwartete Lack und Leder Festival bleibt aus, denn die Mehrheit der Anwesenden ist leger gekleidet und hätte ohne Probleme in den Outfits zur Arbeit gehen können. Ich kann nur eine Person beobachten, die ein nicht alltägliches Outfit trägt: Sie hat bei ihrem Oberteil zwei Löcher für ihre Nippel rausgeschnitten, die sie mit je einem schwarzen Herz abgeklebt hat.
Gegen neun Uhr gehe ich in den Kinosaal und sitze an meinem Platz. Es wird dunkel, rotes Licht strahlt auf die Leinwand, Jamal Phoenix betritt die Bühne.
Jamal Phoenix ist einer der Stars der diesjährigen Festivalausgabe. Zu Beginn seiner Performance wird ein Text von ihm vorgelesen, wo er beschreibt, wie er seine Transmaskulinität auslebt. Er erklärt mir im Nachhinein, dass Männlichkeit in seinen Augen oft als etwas Kaltes dargestellt wird, das keine Sexualität oder Sinnlichkeit enthält. Mit dem Text möchte er sein Verständnis von Männlichkeit darstellen. Die anschliessende Dance Performance illustriere den Text.
Seine Message an die Welt ist leicht verständlich: „Transmasculinity is hot”.
Die Menge tobt, es hallen Pfiffe durch den Saal, Jamal verlässt die Bühne, die Organisator*innen der Porny Days betreten das ehemals rote, nun weisse, Scheinwerferlicht. Eine Begrüssung und Danksagung folgen, das Publikum klatscht, es wird wieder dunkel.
Film ab
Die neun Kurzfilme behandeln eine breite Themenpalette. Beim ersten Film geht es um Brüste, Saxofone und Sex. Ein anderer Film porträtiert zwei Frauen, die objektophil sind – das ist die sexuelle Anziehung von Menschen zu unbelebten Objekten. Sonnili liebt Sonni, einen Klaviernotenhalter. Valentina liebt Ceddy, das Terrassendach der Nachbarn.
Weitere Filme folgen, bis jemand laut ruft: „Danke!“. Die Leute klatschen, das Licht geht wieder an.
Ich spreche kurz mit meinem anderen Sitznachbar. Er war schon mehrfach am Festival und kennt einige Mitglieder des Organisationsteams, die Freundschaften seien aber nicht der Hauptgrund für seine Anwesenheit:
„Weil ich es spannend finde. Es werden keine sexistischen oder ausbeuterischen Filme gezeigt, sondern Filme, die Freude ausstrahlen, egal was die Leute für Geschlechter haben oder wie sie gelesen werden. Sie haben Freude miteinander, am ausprobieren vom eigenen Körper und der eigenen Sexualität. Das ist etwas vom Wichtigsten für mich. Das ist etwas, das ich supporten möchte. Deswegen bin ich hier.“
Ich verlasse den Kinosaal, die Stimmung ist ausgelassen, es wird viel gelacht und es scheint, als kennen sich alle. Ich fühle mich wie an einem Familientreffen, an dem sich ausnahmsweise alle mögen. Ein friedliches Familienfest, das finde ich fast aussergewöhnlicher, als der offene Umgang mit der eigenen Sexualität.
Pornos um zehn Uhr morgens
Im Foyer ist es mir zu heiss, ich gehe an die frische Luft und komme mit den zwei der drei Mitgründer*innen, Dario Schoch und Talaya Schmid ins Gespräch.
Entstanden sind die Porny Days, weil Rona Schauwecker, die dritte Mitgründerin, und Dario Schoch gemeinsam am Dokumentarfilmfestival „Visions du Réel“ in Nyon waren und einen feministischen Porno gesehen haben.
Fasziniert von diesem Film hatten die beiden die DVD gekauft und diese Talaya vorbeigebracht. Danach hatten sie gemeinsam mit ein paar Freund*innen die DVD geschaut und hatten Freude daran, einen Porno zu sehen, der völlig anders war als der Mainstream. Daraus entstanden spannende Diskussionen über Themen, bei denen es sonst schwerer fällt, darüber zu sprechen. So entstand der Porny Brunch. Dario meint:
„Wir haben gemerkt, dass das Medium Film ein Eisbrecher ist, bei dem die Menschen über ihre eigene Sexualität und Fantasien sprechen können. Über den Film fällt das Vielen einfacher. Wir haben den Brunch gemacht, um Tabus zu brechen. Wir wollten um zehn Uhr morgens Pornos schauen, mit einem üppigen Frühstücksbuffet. Das Event war so ein Erfolg, dass wir wussten, dass wir das jedes Jahr machen werden.“
75 Menschen waren am ersten Porny Brunch dabei, Filmemacher*innen aus Europa wurden eingeladen, weil die Organisator*innen zu Beginn keine schweizerischen Filme finden konnten.
Ausgehend von diesem Brunch ist das Festival organisch gewachsen.
Aus einem Tag wurden fünf Tage. Es kamen Lesungen und Tanzperformances dazu – dieses Jahr erwarten die Organisator*innen 4000 Besucher*innen, gemäss Dario ist fast das ganze Programm ausverkauft. Schweizer Filme sind keine Seltenheit mehr, die Mehrheit der diesjährigen Kurzfilme bei den Opening Quickies waren einheimische Produktionen.
Beide bedanken sich nochmals herzlich bei mir, dass ich bei der heutigen Eröffnungsveranstaltung dabei war – so viel Wertschätzung für eine Reportage habe ich bis jetzt noch nie erlebt.
Siebdruck, Genitalien und Darts
Am nächsten Tag bin ich bei Siebdruck 27 in Altstetten, hier findet das Porny Printing statt.
Ich bin noch nervöser als gestern. Nach der gestrigen Erfahrung kann ich gar nicht abschätzen, was mich heute erwarten wird. Ich weiss, dass mehrere Menschen heute ihre Genitalien auf Papier drucken werden. Wie explizit das sein wird, kann ich nur erahnen. Zudem weiss ich nicht, wie die Teilnehmer*innen reagieren werden, wenn sie erfahren, dass sie in solch einem intimen Moment fotografiert werden. Ich kann mir gut vorstellen, dass ich nach fünf Minuten wieder gehen muss, weil sich jemand unwohl fühlt. Für das würde ich vollstes Verständnis haben. Wäre ich einer der Teilnehmenden, würde ich wahrscheinlich so reagieren.
Ich werde von Michael begrüsst. Er leitet den Workshop, der zum ersten Mal im Rahmen der Porny Days stattfindet. Genitalien kann man schon länger mit Michael auf Papier drucken, er hat schon Kurse mit dem Verein „Zwischenwelten“ organisiert. Entstanden ist die Idee aus Frust:
„Meine Ex-Freundin war Journalistin und schrieb einen Artikel über Schamlippen-Operationen, die im Trend waren, weil offenbar irgendjemand der Meinung war, dass Vulvas ein gewisses Aussehen haben müssen, damit sie normal aussehen – was nicht stimmt. Daraufhin kam ich auf die Idee, eine Veranstaltung zu schaffen, bei der jede*r das mitbringt, was er oder sie hat. Im Kurs sieht man ein bisschen, wie die anderen drucken und wie sie aussehen. Dann verstehen die Teilnehmer*innen: das sieht ja bei allen anders aus, das ist ähnlich wie bei mir. Das ist die Idee.“
Michael begrüsst alle und fragt zuerst die Teilnehmer*innen, ob es in Ordnung sei, wenn die zwei Fotografinnen der Porny Days und ich Fotos machen. Zu meiner Erleichterung und Erstaunen willigen alle Teilnehmer*innen ein.
Danach zeigt Michael aus Transparenzgründen den Teilnehmer*innen ein Foto seines besten Stücks neben dem Schiefen Turm von Pisa. Wenn er die Geschlechtsteile aller Teilnehmenden im Laufe des Workshops sehen wird, dürfen die anderen auch seinen schiefen Turm sehen.
9 Teilnehmer*innen drucken heute ihre Genitalien auf Papier, ein Mann ist auch dabei. Er heisst Franz Hermann und bekam den Workshop von seiner Kollegin zum Geburtstag geschenkt. Franz Hermann wird von einem der beiden Besitzer der Siebdruck Werkstatt zu einem Dartspiel herausgefordert. Franz hat keine Erfahrung im Dart spielen, gewinnt aber trotzdem mit 99 Punkten.
Währenddessen machen die ersten Teilnehmerinnen Aufnahmen von ihren Geschlechtsteilen. Die Fotos entstehen in einer Ecke der Werkstatt, die so umfunktioniert wurde, dass neugierige Blicke nichts sehen können. Nicht alle stören sich an Blicken. Zu meinem Erstaunen konnte ich bei drei Teilnehmer*innen alles fotografieren, was vor die Linse kam.
Wie ein Besuch beim Gynäkologen
„Mein Gott, das ist stressiger als man denkt“, höre ich eine Teilnehmerin zu ihrer Kollegin sagen. „Fotos machen“, ergänzt sie auf meine Nachfrage, was genau so stressig sei. Die junge Frau macht zum ersten Mal Nacktfotos in einem solchen Rahmen:
„Jede*r hat ja schon mal seine oder ihre Genitalien fotografiert, oder?“, ihre Kollegin bejaht. „Aber da hat man nicht den Druck, dass man ein perfektes Foto machen muss, welches man nachher druckt. Ich versuche es gleich nochmals, ich bin noch mit keinem Foto zufrieden.“
Ihre Kollegin, die kurzfristig einspringen musste, weil die ursprüngliche Begleitung der gestressten Teilnehmerin kurzfristig abgesagt hatte, meint: „Ich bin hier reingerutscht, aber eigentlich finde ich es schon cool. Ich finde es auch schön, dass es so ästhetisch und artsy dargestellt wird.“
Gestresst sei sie nicht, das Fotografieren ihrer Genitalien beschreibt sie als entspannt, weil sie ihre eigene Ecke hatte.
„Wäre ich die Einzige hier, die das macht, fände ich das komisch, aber weil es jede*r macht, herrscht irgendwie Frauenarztstimmung“, sagt sie lachend, ihre Kollegin ist derselben Meinung.
Bodypositivity
Der angehende Dartstar Franz Hermann ist jetzt an der Reihe mit dem Modeln seines bestens Stücks – seine Kollegin ist die Fotografin.
Franz macht das erste Mal in einer Gruppe Nacktfotos. Er habe aber auch schon Nacktbilder an andere Menschen geschickt. Während des Fotoshootings fühlte er sich wohl. Dies ist aber keine Selbstverständlichkeit. Er sagt von sich:
„Früher war ich sehr scheu und mochte meinen Körper nicht besonders. Als ich 19 Jahre alt war, war ich an der Uni Aktmodell, um Geld zu verdienen. Diese Erfahrung hat mich gelehrt, offen zu sein und mich belehrt, dass Menschen verschiedene Körperbauten haben.“
Es wird gedruckt
Sobald die Teilnehmer *innen ihre Fotos gemacht haben, können sie die intimen Bilder gemeinsam mit Michael bearbeiten.
Ist die Teilnehmer*in mit dem Foto zufrieden, wird es ausgedruckt und auf ein Sieb gelegt. Danach wird das Sieb mit UV-Strahlen beleuchtet. Dort, wo das Licht auf das Gewebe trifft, wird die Beschichtung wasserfest.
Die Stellen, die das Motiv verdecken, bleiben wasserlöslich. Jetzt wird das Sieb mit Wasser abgespült, dadurch entsteht eine Schablone. Diese Schablone wird nachher für den Druck verwendet, indem die Farbe durch die Schablone gestrichen wird.
Die Teilnehmer*innen sehen die Fotografien der anderen, es scheint, als wäre die ganze Werkstatt mit Bildern von Vulven und einem Penis vollgestopft. Komisch oder unangenehm ist das aber niemandem, auch nicht für mich als Beobachter. Der Umgang mit den Bildern erfolgt sehr respektvoll und wirkt selbstverständlich, als ob es alltäglich ist, die Geschlechtsteile seiner Mitmenschen zu sehen.
Ich empfinde die Bilder nicht als sexuell, vielmehr wirken sie natürlich und unspektakulär. Ich frage mich, wieso Nacktheit immer noch tabuisiert wird. Der Workshop beweist, dass es auch anders geht, wenn man sich darauf einlassen kann.
Nach drei Stunden Arbeit hält Franz stolz seinen gedruckten Penis auf A3 Format in den Händen, den Michael liebevoll „Herminator” nennt.
Und ich? Mir wurde mehrfach angeboten, selbst beim Siebdrucken mitzumachen, weil eine angemeldete Teilnehmerin nicht auftauchte. Nach einem längeren inneren Konflikt musste ich aber dankend ablehnen.
Zu kurzfristig war das Angebot, zu sehr war ich mit dem Fotografieren beschäftigt. Ich muss mir aber auch eingestehen, dass ich mich nicht wohlgefühlt hätte vor einer Gruppe, auch wenn das Fotografieren der Genitalien hinter einer provisorischen Wand geschieht. Hierfür fühle ich mich noch nicht bereit. Ich habe meinen Körper zu lange nicht gemocht, um ihn jetzt zur Schau zu stellen.
Fakt ist: an zwei Tagen Porny Days habe ich entgegen meinen Erwartungen kein Live Fisting oder eine ähnliche Performance gesehen, auch wenn es ein solches Angebot gibt. Dieses Jahr wurde beispielsweise eine Performance gezeigt, welche Urin beinhaltet. Das Publikum durfte sogar mitmachen.
Als ich das erste Mal von den Porny Days hörte, kamen mir skandalöse Sexpartys, obszöne Workshops und generische 0815 Pornos in den Sinn. Jetzt war ich dabei und wurde vom Gegenteil überzeugt: Die Porny Days sind ein fünftägiges Festival, das den Menschen, seinen Körper und dessen Sexualität zelebriert. Ich fand’s super!