Text von

Lea Göldi

Rea Meier – «Wir wollen erkannt werden ohne Bedingungen und ohne Erwartungen »

«Wenn du springst, kannst du nicht mehr zurück. Du musst rein ins Wasser. Ich hatte Glück: es war tief genug und nur ein bisschen kalt.» Ein Gespräch mit Rea Meier über Identitätssuche, Austausch und ihre Geschichte als Transfrau.

Liebe Rea, wie hast du deinen Namen gefunden?

Der Name hat mich gefunden! Auf den ersten Blick. Ohne Suchen. Er hat sich wunderbar passend angefühlt. Mein vorheriger Name hat sich einfach nie richtig angefühlt, ohne zu wissen warum. Jetzt weiss ich es. Vieles ergibt erst zu einem späteren Zeitpunkt Sinn und eine Erklärung zu dem, was vorher war.

Das der Name zu dir passt, kann ich auch bestätigen. Hast du dein Name amtlich geändert?

Ja, im Sommer 2019 habe ich amtlich Name und Geschlecht angepasst. Zu dieser Zeit brauchte es für die Anpassung noch einen Gerichtsentscheid.

Die Identitätsfrage ist in der heutigen Gesellschaft omnipräsent. Kannst du dich an deine Identitätssuche zurückerinnern?

Ich hatte mich in meiner zugeteilten Geschlechterrolle nie wohl gefühlt. Wieso das so war, habe ich erst später herausgefunden. In einer Identifikation als Mann konnte ich mich nicht finden. Wollte nicht stark sein, sondern mich schön fühlen und sein. Seit meiner Jugend habe ich mich mehr als für Männer üblich gepflegt und Schminke getragen. Bis 20 trug ich lange Haare. Das Kräftemessen in Männergruppen und die Positionierung gegenüber Frauen war nicht meins. Ich war wie im falschen Film. Unter Frauen fühlte ich mich wohler. Das zog sich durch mein Leben wie ein roter Faden, auch später in meiner eigenen Familie.

Heute finde ich den Umgang unter jungen Menschen sehr schön. Ein Mann darf Feinheiten haben und eine Frau Durchsetzungsvermögen besitzen. Die Persönlichkeit des Menschen steht im Vordergrund. Diese Veränderung tut gut.

Du hast angetönt, dass du eine Familie gegründet hast?

Das hat mit meiner Geschichte zu tun. Für mich war es wichtig im Leben anzukommen, mit allem, was dazugehört. Auch Ja zu Kindern, einer Partnerschaft und dem Leben zu sagen. Für das bin ich sehr dankbar. Ich liebe meine Töchter.

Hast du dich als Mann einsam gefühlt?

Eher nicht richtig wahrgenommen. Nicht in mir und nicht im Aussen. Ich denke wir wollen alle erkannt werden, ohne Bedingungen und ohne Erwartungen. Das hat sich bis heute nicht verändert.

Vor 7 Jahren hast du dein Coming-Out als Frau gehabt. Was hat es für diesen Schritt gebraucht?

Ich war müde von dem Verstecken und der Rechtfertigung. Es brauchte viel Trauerarbeit. Viel Weinen und Aufarbeiten. Ich konnte und wollte nicht mehr anders sein als ich bin. Mit all dem, was mir wichtig ist. Ich bin gegangen. Das hat aber nicht nur mit dem Transsein zu tun.

Wie erging es dir in der Zeit nach deinem Coming-out?

Wenn du springst, kannst du nicht mehr zurück. Du musst rein ins Wasser. Ich hatte Glück: es war tief genug und nur ein bisschen kalt. Es war ein unfassbares schönes Gefühl. Dann fand mich mein Name: Rea. Kurz und klar, nichts Spezielles.

Der Prozess kann mit der Pubertät verglichen werden. Was bedeutet sich selbst zu finden? Es hat viel mit ausprobieren und reflektieren zu tun, bin ich das wirklich? Passt das zu mir? Bei sich selbst bleiben und den eigenen Stil und Ausdruck finden. Ich spürte ein grosses Vertrauen, dass ich so sein darf wie ich bin und die Welt solche Menschen wie mich braucht. Das hat aber nichts mit Transsein allein zu tun, sondern kann irgendjemand sein, der gut mit sich selbst unterwegs ist. Für mich war es eine Zusammenführung von Körper und Seele und spüren zu können: Es ist gut, was ich hier mache. Ich lerne immer noch sehr viel. Es ist eine Suche.

Spiegelt dir die Gesellschaft manchmal etwas anderes?

Zum Teil schon. Ich bin Frau, ganz klar. Die Formulierungen der Gesellschaft sagen mir ich sei in einem Männerkörper. Ja… hier drin ist aber eine Frauenseele. Es ist meine Aufgabe damit klarzukommen. Ich habe Stunden damit verbracht anderen zu erklären, wer ich bin. Meine Seele und Körper sind eins. Meine Seele hat sich meinen Körper zu eigen gemacht.  Im Aussen wird meine Frauenseele gleichzeitig mit einem Männerkörper wahrgenommen. Das wirkt auf die Menschen wie die Doppelbelichtung bei einer Fotografie. Das kann irritieren oder Projektionen auslösen. Was sie mir dann auch mit konkreten Fragestellungen mitteilen: «Was hast du zwischen den Beinen oder du bist ja eh schwul.» Sie finden es gehört nicht zusammen. Aber ich fühle mich als Frau und andere spüren das auch. Und ich darf Frauen begehren und lieben. Ich habe viele liebe Menschen um mich herum, Frauen vor allem. Ich bin definitiv nicht einsam und das ist wunderbar.

Wie wichtig ist dir der Austausch mit der Queercommunity?

Ich finde den Dialog sehr wichtig. Sich unter gleichgesinnten Menschen auszutauschen und zu vernetzen hilft in bestimmten Phasen des Lebens. Der Austausch muss aber unter allen gegeben sein. Ich finde es schade, wenn Menschen nur noch in der Queercommunity unterwegs sind. Aber das gilt für alle Communitys und Lebensbereiche. Es führt dazu, dass Menschen weniger Uneindeutigkeit aushalten können, noch weniger als früher.

Alles kommt aus dem Chaos. Es gibt nichts Eindeutiges und das ist genau das schöne.

Meinst du damit auch den Generationenaustausch?

Ja, das sind andere Welten und ein anderes Denken. Das kannst du nur durch Zuhören erschliessen. Ich bilde mir gar nichts darauf ein, dass ich schon so viele Jahre lebe. Egal in welchem Alter, jeder und jede sollte sich immer wieder hinterfragen. Das Neue kommt von aussen. Was gleich bleibt, ist der Wunsch erkannt und wahrgenommen zu werden. Das wird sich auch nicht ändern.

 

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