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«Dann gibt es eben kein Gucci mehr» – Ein Interview mit Künstler Wassili Widmer

1992 ist Wassili Widmer im Appenzell geboren – heute ist er auf der ganzen Welt als Künstler unterwegs. Wir sprechen über seine Kunst, die Szene in der er sich bewegt und über Privilegien.
Wassili Widmer zwischen gelben Blumen.

Hallo Wassili. Stell dich doch mal vor.

Ich bin Wassili Widmer, bildender Künstler und habe meinen Bachelor in «Fine Arts» an der ZHdK absolviert, anschliessend meinen Master in Glasgow. Ich mache etwa seit 2014 Kunst. Ich habe an der Manifesta, Biennale Vendedig, Glasgow international und an vielen anderen Ausstellungen in der Schweiz ausgestellt.

 

Du bist oft in Glasgow und lebst auch dort. Warum ausgerechnet Glasgow?

Ich habe keine Lust, einen bestimmten Ort mein Zuhause zu nennen. Ich bin einfach da, wo ich gebraucht werde oder wo ich angefragt werde. Nach meinem Bachelor habe ich mir einige Kunstschulen in Europa angeschaut. Bei Hamburg oder anderen deutschen Städten konnte ich mir in etwa vorstellen, wie das wird – es war mir zu berechenbar. Glasgow war das Ungewisse. Ich hatte keine Ahnung, was mich erwartet, das zog mich an. Das Unbekannte definiert etwas, dass du selbst nicht bist.

 

Du bist tief in der Schweizer Kunstszene vernetzt. Wie unterscheidet sich die Schweizer von der Schottischen Kunstszene?

Die beiden Szenen sind das komplette Gegenteil. In den Schweizer Städten gibt es aber auch grosse Unterschiede. Die Zürcher Szene ist beispielsweise sehr gut ausgearbeitet, die Arbeiten sind immer sehr «smooth». So kennt man es aus der zeitgenössischen Kunst. Die Technik und das Equipment sind fortschrittlich.

In Glasgow ist das völlig anders. Die Leute haben kein Cash, sie müssen improvisieren. Durch das wird die Kunst sehr charakteristisch. Die Künstler*innen sind alle sehr – ich sage mal quirlig. Das meine ich im positiven Sinne! Oftmals wirken die Kunstwerke nur zu sechzig Prozent fertig. Dann sprichst du mit den Künstler*innen und sie erklären dir ihre Idee und geben unfassbar spannende Inputs. Das finde ich nice. Das sind Gegenpole – in Zürich sind die Arbeiten genauso interessant, aber eben anders.

 

Wer oder was beeinflusst dein künstlerisches Schaffen?

Ich glaube ich bin oft von Dingen inspiriert, die mich überlasten oder mir nicht gefallen. Alles was ich sehe, ist wie eine Wahrnehmungsschulung. Wenn ich mir einen Talk mit Laurie Anderson anhöre und sie darüber spricht, was sie über Kunstmedien denkt, inspiriert mich das sehr. Auch wenn unsere Praktiken komplett unterschiedlich sind.

Ich finde Kunstgeschichte, moderne Medien und Filme sehr spannend. Meine ehemalige Partnerin Martina und ich haben eine Performance mit dem Titel „Harbinger“ gemacht. Die Performance war inspiriert von einer Sequenz aus dem Film «Climax – Gaspar Noé». Im Film kommt ein Dude vor, der sich die Schulter ausrenken kann. Ich sagte zu Martina: «Das möchte ich machen!». Natürlich kann ich mir nicht einfach so sie Schultern ausrenken. Also kaufte ich ein Ganzkörper-Anzug und trug ihn verkehrt. Dann zog ich die Maske über meinen Hinterkopf und schon konnte ich diese weirden Bewegungen nachmachen.

Kunsthistorisch gesehen schliesst meine Praxis klar an Performance Bewegung wie «Fluxus» oder dem «Futurismus» an.

 

Ist die Kunstszene elitär?

Da ist die Frage, wie wertgebend ein Kunstschulabschluss in der Szene ist. Aber klar, ein gewisser Elitarismus existiert. Vielleicht braucht es das auch, um ein Expertentum zu schaffen. Ein Expertentum finde ich nichts Verurteilendes. Alle Dozent*innen an der ZHdK haben beispielsweise eine eigene Handschrift. Es bleibt jedem und jeder selbst überlassen, ob er oder sie sich in das einreihen möchte. Man kann schon sagen, dass das Kunstfeld privilegiert ist. Schlussendlich sehe ich aber eine grosse Wichtigkeit in der Kunst, die eigentlich jede Person inkludieren sollte.

 

Wie ordnest du Neue Medien oder Social Media in der Kunst ein?

Social Media spielt eine wichtige Rolle. Es gibt das Feld «Instagram-Kunst». Da gibt es viele Dinge, die ich schlecht finde… (lacht). Aber es braucht diese Art von Kunst, weil das Galeriewesen immer kleiner wird. Das physische Erlebnis von Kunst ist dennoch wichtig. Skulpturen und Installationen, also dreidimensionale Medien, funktionieren primär durch ihre Haptik.

Das, was ich auf meinem Instagram Profil mache, ist ein Ausgleich zu dem, was ich sonst mache. Es ist viel dadaistischer und expressiver. Dort findet man kreative Resten. Ich habe eine geile Community auf Instagram und mag die Interaktion.

 

Ist das Leben als Künstler*in erstrebenswert?

Mir ging es schon nicht immer gut in der Pandemie. Trotzdem finde ich, dass der Staat das gut geregelt hat mit den Geldern. Bei mir ist das meistens gut gelaufen, da bin ich dankbar.

Als bildende*r Künstler*in ist man oft nicht konventioneller Teil des kapitalistischen Systems. Klar kannst du Bilder malen und verkaufen. Aber ein grosser Teil der Kunst, vor allem konzeptionelle Sachen, haben einen anderen Antrieb. Das ist oftmals eine Idee, in der der Künstler oder die Künstlerin was Wichtiges sieht. Dies ist per se nicht verkäuflich. Natürlich kann auch diese Kunst oft in einem kapitalistischen Rahmen stattfinden.

Man muss sich bewusst sein, dass man sich darauf einlässt, nicht das grosse Geld zu machen. Wenn etwas gut genug ist, kriegt man schon Geld dafür – hoffe ich Mal!Eines Tages fragte ich meine Dozentin, ab wann man sich Künstler*in nennen kann. Sie meinte, das muss ich selbst entscheiden. Von da an nannte ich mich Künstler. Die Entscheidung, Künstler oder Künstlerin zu werden, bedeutet, Privilegien zu streichen – dann gibt es eben kein Gucci mehr. Ich habe in Glasgow gelebt, wegen der Pandemie musste ich für mehrere Monate zurück in mein Elternhaus. Die Mieten in der Schweiz waren einfach zu hoch. Es betrifft eben auch andere Bereiche des Lebens. Ich schneide mir die Haare selbst und kaufe mir selten teure Dinge. Man muss eine gute Balance schaffen, was einem wichtig ist und was nicht. Als ich im KV war, habe ich das Gegenteil erlebt. Ich hatte Geld und gab alles für Kleidung und Partys aus. Das machte mich nicht glücklich.

Danke für das Interview!

 

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